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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 23.11.2023:

„Lernkompetenz und KI-Kompetenz als zentrale Zukunftskompetenzen fördern.“

Chancen und Risiken des Einsatzes von KI für Bildungsprozesse
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Prof. Dr. Tina Seufert

Künstliche Intelligenz (KI) nimmt auch in der Bildung einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Der Erwerb von KI-Kompetenzen ist für Lehrende und Lernende wichtig, damit sie KI zielgerichtet und effektiv einsetzen können. Im Interview mit der Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ zeigt Prof. Dr. Tina Seufert, Universität Ulm, auf, dass der Erwerb von KI-Kompetenzen am besten in Verbindung mit der Förderung der Lernkompetenzen gelingt, um den Anforderungen einer zunehmend digitalisierten und sich schnell wandelnden Welt gerecht zu werden.


Online-Redaktion: Frau Seufert, Künstliche Intelligenz wird auch in der Bildung immer wichtiger. Welche Chancen bietet der Einsatz von KI für Bildungsprozesse?

Seufert: Künstliche Intelligenz kann ein guter Lernpartner für Lernende sein. KI-Modelle können Texte schreiben, Übungsprozesse begleiten und Aufgaben, abhängig von dem eigenen individuellen Niveau, stellen. KI ist tatsächlich eine Chance für die aktuellen Bildungsherausforderungen, insbesondere für die Heterogenität der Schülerschaft. Es gibt so viele unterschiedliche Lernende, dass es Lehrenden nicht immer gelingt, allen mit den vorhandenen Materialien gerecht zu werden. Für diese unterschiedlichen Bedürfnisse kann KI eine wunderbare Generierungsmaschine von verschiedenen Lernmaterialien, Aufgaben und Lernstrategiehilfen sein.

Online-Redaktion: Das heißt, KI ist auch für die Lehrkräfte ein guter Partner?

Seufert: KI ist für Lehrende ein wunderbarer Sparringpartner, sie hat viele gute Ideen und erstellt eine große Auswahl an klassischen Materialien und Aufgaben auf unterschiedlichen Niveaustufen. Und sie kann sogar Feedback geben. Oft haben Lehrkräfte keine Zeit, den Schüler*innen ein gründliches Feedback für erbrachte Leistungen zu schreiben. Dann kann die Lehrkraft sich das Feedback mit ein paar Stichworten von der KI ausformulieren lassen. KI kann auch Unterrichtspläne erstellen und Workshops planen, sie ist wirklich kreativ. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber sie schlägt tolle Methoden vor. Ich habe selbst schon Einiges ausprobiert.

Online-Redaktion:
Können Sie ein Beispiel nennen?

Seufert: Ich wollte zum Beispiel einmal etwas zu Lernstrategien mit Siebtklässler*innen machen, die aus der Arbeits- und Lebenswelt kommen. Dazu hat die KI einen Workshop für 90 Minuten inklusive Input, Lernmaterial und Powerpointfolien erstellt. Vor allem ChatGPT kann alles, was ich vorgebe, 1 zu 1 entwickeln, klar und gut strukturiert, mit Unterpunkten und Zeitangaben. Die KI erstellt eine Vorlage, mit der man gut weiterarbeiten kann. Aber man muss mit ihr auch weiterarbeiten und das ist wiederum eine Herausforderung für die Lehrenden. Sie sollten immer kontrollieren, ob ihnen das Konzept gefällt oder ob sie es an der ein oder anderen Stelle doch noch ein bisschen ändern möchten, vor allem, wenn die Zielgruppe unterschiedliche Voraussetzungen hat. Dann geben sie den Auftrag noch einmal ein oder verfeinern die Vorlage selbst.

Online-Redaktion: Die richtigen Eingaben zu machen ist also entscheidend?

Seufert: Das Potenzial der KI können wir nur nutzen, wenn wir wissen, wie wir die richtigen Fragen stellen, um es aus ihr herauszuholen. Prompt-Kompetenzen - prompts sind die Fragen, die man der KI stellt - sind ein ganz wichtiger Schlüsselfaktor für die Zukunft. Ein einfacher prompt könnte lauten „gib mir eine Lernstrategie“. Damit könnte die KI schon etwas anfangen. Besser wäre aber zu spezifizieren wofür ich die Lernstrategie brauche, was mein Ziel ist und auch zu sagen welche Strategie ich schon kenne. Z.B. „Ich soll einen schwierigen Text lesen, der viele für mich unbekannte Wörter enthält. Ich bin nicht allzu motiviert ihn zu lesen, muss ihn aber wirklich verstehen, weil er die Grundlage für das ganze Semester ist. Manchmal nehme ich MindMaps aber das wäre mir jetzt zu aufwändig. Kannst du mir eine andere Lernstrategie vorschlagen?“ Um einen solchen prompt zu formulieren, muss ich also schon gut Bescheid wissen, welche Herausforderungen ich beim Lesen habe. Ich muss über Basiskompetenzen verfügen. Das ist ähnlich wie bei einem Taschenrechner. Wenn ich nicht weiß, was ich berechnen möchte, kann ich die Aufgaben auch nicht in den Taschenrechner eingeben. Und ich kann am Ende auch nicht überprüfen, ob das Ergebnis am Rechner plausibel ist. Um sowohl gute Fragen stellen zu können als auch um die Antwort des KI-Modells prüfen zu können, brauche ich unbedingt Basiskompetenzen. Denn auch die KI macht Fehler.

Online-Redaktion: Wie kann man die Lehrkräfte bei dem Erwerb der geforderten Kompetenzen unterstützen?

Seufert: Ich glaube, dass wir viel Erfahrung mit KI sammeln und diese reflektieren müssen. Ich bin ein großer Freund von Metakognition. Es geht darum, auf der Metaebene darüber nachzudenken, was die KI kann, wie ich sie für mich einsetzen kann und welches die Vor- und Nachteile ihres Einsatzes für mich sind. Ich muss mir immer überlegen, wo ich hinwill und wie ich die Zusammenarbeit optimal gestalten kann. D.h., welchen Teil kann oder muss ich selber machen, was kann die KI mir abnehmen, wo sind meine Stärken und Schwächen, aber auch wo die der KI. Es braucht einen reflektierten Erfahrungsschatz mit verschiedenen KI-Tools, um KI-Wissen aufzubauen und sie sinnvoll für die eigenen Lern- und Lehrziele einzusetzen. Ich denke, es wird in Zukunft viele Weiterbildungsangebote zum Aufbau dieser Reflektionskompetenzen geben müssen.

Online-Redaktion: Sollte der Aufbau der Basis- und Reflektionskompetenzen mit den KI-Kompetenzen verknüpft werden?

Seufert: Auf jeden Fall. Wir bieten Weiterbildungen für Lehrkräfte, für Lernbegleiter*innen, für Eltern aber auch für Lernende selbst an, in denen wir KI-Kompetenzen immer gemeinsam mit der zusätzlichen Selbstlernkompetenz bzw. Selbstregulationskompetenz vermitteln, damit sie KI effektiv nutzen können. Lehrkräfte brauchen beide Kompetenzen, sie müssen sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen kennen, um einen Unterricht mit KI gestalten zu können.

Online-Redaktion: Wo bieten Sie die Fortbildungen an?

Seufert: Die Fortbildungen gehören zum Programm der School of Advanced Professional Studie (SAPS), unserer Weiterbildungseinrichtung an der Uni Ulm. Gemeinsam mit dem Zentrum für Schulentwicklung und Lehrerbildung in Baden-Württemberg können Lehrkräfte dort kostenfrei teilnehmen. Aber viele Schulen arbeiten aktuell selbst an diesem Thema und laden uns dann zu einem Impuls ein. Was ich interessant finde, ist, dass einige Schulen Workshops und Fortbildungen für Lehrkräfte und Schüler*innen gemeinsam durchführen. Da lernen die Kinder von den Lehrkräften und umgekehrt. Das finde ich einen spannenden Ansatz, denn was digitale Medien angeht, sind die Schüler*innen oft schon weiter als die Lehrkräfte. Deshalb ist es ein guter Weg, offener zu werden und mehr von- und miteinander zu lernen.

Online-Redaktion: Gibt es auch Risiken für Bildungsprozesse und Wissenserwerb durch den Einsatz von KI?

Seufert: Das größte Risiko ist, dass sich vor allem schwächere Schüler*innen auf die KI verlassen und denken, dass sie selbst zum Beispiel nicht mehr richtig schreiben können müssen. Gabi Reinmann hat neulich in einem spannenden Keynotevortrag darauf verwiesen, dass wir unbedingt darauf achten müssen, dass Basiskompetenzen weiterhin erworben werden und wir Menschen auch dazu motivieren müssen, diese zu beherrschen. Der Mensch muss immer dazu in der Lage sein, zu überprüfen, ob die Aufgabe oder der Text, den mir die KI gibt, gut oder schlecht ist. Ich bin ja auch froh, wenn ein Pilot zwar mit Autopilot fliegt, aber noch selber fliegen und im Notfall eingreifen kann. Ohne Basiskompetenzen können wir auch Fake News oder Fake Bilder nicht erkennen. Gerade bei Bildern ist die KI sehr kreativ. Und je besser sie wird, desto kritischere Reflexionsfähigkeiten brauchen wir, um zu beurteilen: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Papst zum Beispiel eine weiße Plüschjacke trägt oder ein Politiker etwas Bestimmtes gesagt hat. Denn KI ist auch dazu in der Lage, Menschen Aussagen in den Mund zu legen, die sie nie getroffen haben. KI kann ein Video in eine andere Sprache mit Lippensynchronisation übersetzen, was so echt aussieht, dass es für den Laien nicht möglich ist, herauszufinden, ob es stimmt oder nicht. Um diesen Risiken zu begegnen, ist es wichtig, den gesunden Menschenverstand zu trainieren.

Online-Redaktion: Sollte das Bildungssystem die jungen Menschen auf den Einsatz und die Beurteilung von KI vorbereiten?

Seufert: Unbedingt! Das Bildungssystem hat den Auftrag, die jungen Menschen in der Schule und im Studium auf KI vorzubereiten und die sinnvolle Nutzung der Tools zu trainieren. Später im Arbeitsleben wird fast jeder Mensch einen Text schreiben und dabei auch KI nutzen, einfach weil es schneller geht. Schule und Universität sind genau der richtige Ort, um diese Erfahrungen zu sammeln, den Umgang mit KI zu trainieren und darüber zu reflektieren.

Ich denke, dass wir in Zukunft auch neue Aufgaben und Prüfungsformate brauchen. Denn wir können nicht mehr erkennen, ob eine Hausarbeit ein von der KI generierter Text ist oder von Schüler*innen/Studierenden selbst stammt. Wir müssen uns deshalb darüber Gedanken machen, was Lernen bedeutet und wie wir es messen können. Müssen wir immer nur das Lernergebnis bewerten und dafür Noten geben oder kommt es nicht vielmehr auf den Lernprozess an? Ist es nicht auch wichtig, wie jemand Tools genutzt hat, um zum Lernziel zu kommen? Gerade die Diagnostik im Bildungsbereich wird sich in den nächsten Jahren verändern und anpassen müssen.

Online-Redaktion: In welchen Projekten erforschen Sie den Einsatz von KI?

Seufert: KI spielt in zwei meiner Projekte eine Rolle. In beiden Projekten - eins fokussiert betriebliche Lernprozesse, das andere didaktische Fragen an der Hochschule - geht es darum, Lernpfade an Lernende anzupassen. Wir versuchen, den optimalen Lernpfad für Lernende in Lernmanagementsystemen zu generieren. Lernende machen beispielsweise ein Moodle-Quiz und werden abhängig von dem Ergebnis entweder auf den Lernpfad A oder auf den Lernpfad B geschickt. Bei A müssen sie die Materie noch einmal vertiefen oder erhalten eine Lernhilfe, bei B erreichen sie die nächste Niveaustufe und bekommen schwierigere Aufgaben. Learning Analytics fragt, prüft und wertet die Daten der Lernenden aus und schickt sie dann auf den Pfad, der für sie der Optimale ist, damit sie ihr Lernziel erreichen. In dem Hochschulprojekt arbeiten wir mit generativen Modellen. Wir trainieren sie beispielsweise darin, Fehler in Hausarbeiten zu finden und Feedback zu geben.



Prof. Dr. Tina Seufert
ist seit 2008 Professorin für Lehr-Lernforschung an der Universität Ulm und Direktorin der School of Advanced Professional Studies, der zentralen Weiterbildungseinrichtung der Universität Ulm. Sie ist zudem Präsidentin der Akademie für Wissenschaft, Wirtschaft und Technik an der Universität Ulm. Damit verbindet sie ihre Forschungsarbeiten zum Lehren und Lernen in digitalen wie analogen Formaten mit der praktischen Umsetzung effektiver Lernangebote in der Weiterbildung. Bereits im Rahmen ihrer Promotion an der Universität Koblenz-Landau und ihrer Habilitation an der Universität des Saarlandes stand die Frage, wie Lernprozesse optimal unterstützt werden können in ihrem Fokus. Die Erkenntnisse ihrer langjährigen Forschungsarbeiten zum digitalen Lehren und Lernen sind inzwischen Teil des weiterbildenden Online-Masterstudiengangs Instruktionsdesign, einem wichtigen Baustein für ihr Transferkonzept zur Förderung lebenslangen Lernens.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 23.11.2023
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