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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 24.09.2020:

„Man muss sich nur trauen und das Thema angehen.“

Der Inklusionspreis für die Wirtschaft zeichnet Unternehmen aus, die Inklusion vorbildlich umsetzen
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Bildrechte: zeichensetzen/Harms

Gewinner des Inklusionspreises 2020 - die Mitarbeiter der Porzellanfabrik Hermsdorf

Vielfalt bereichert die Wirtschaft. Dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen neue Möglichkeiten eröffnet, erkennen immer mehr Unternehmen. Vier Betriebe sind jetzt mit dem Inklusionspreis für die Wirtschaft 2020 ausgezeichnet worden: die Porzellanfabrik Hermsdorf, Shuyao Teekultur in Düsseldorf, Matthias Hartmann Orthopädie + Sport aus Dillenburg und Zahntechnik Leipzig.


Immer mehr Betriebe erkennen, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sich positiv auf ihr Unternehmen auswirkt. Vielfalt verbessert das Betriebsklima, durch den Fokus auf unterschiedliche Fähigkeiten wächst die Loyalität der Angestellten und die Attraktivität des Arbeitgebers steigt. „Inklusion ist ein Erfolgsfaktor für Unternehmen, das zeigt der Inklusionspreis zum achten Mal in Folge“, meint der Vorstandsvorsitzende des UnternehmensForums, Olaf Guttzeit. „Inklusion sichert den Fachkräftebedarf und stärkt die Motivation der Mitarbeitenden, ganz gleich ob mit oder ohne Behinderungen.“

Ziel des Inklusionspreises
Als Arbeitgeberinitiative setzt sich das UnternehmensForum für die Ausbildung, Beschäftigung und Weiterbeschäftigung von Menschen mit Behinderungen in der Wirtschaft ein. Die Initiative versteht sich als bundesweite Plattform, um Erfahrungen auszutauschen, gute Beispiele zu erarbeiten und konkrete Anregungen für Arbeitgeber zu entwickeln. Sie initiierte den Inklusionspreis für die Wirtschaft im Jahr 2012 zum ersten Mal und vergibt ihn seitdem jährlich gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Charta der Vielfalt. Rund 340 Unternehmen aus ganz Deutschland haben sich seitdem für die Auszeichnung beworben.

Der Inklusionspreis für die Wirtschaft zeichnet Unternehmen aus, die Inklusion vorbildlich umsetzen. Er prämiert gute Praxisbeispiele in der Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen und will damit Erfolg und Chancen von betrieblicher Inklusion aufzeigen und die guten Erfahrungen einzelner Unternehmen für die Wirtschaft sichtbar machen. Die Initiator*innen sind überzeugt, dass gute Beispiele aus der Unternehmenspraxis und innovative Ideen im Bereich Inklusion die beste Motivation für andere Arbeitgeber sind und dabei helfen, Barrieren abzubauen und andere Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Inklusion zu ermutigen. „Immer mehr Arbeitgeber erkennen das Fachkräftepotenzial von Menschen mit Behinderung. Oftmals fehlt aber das Wissen, wie die Einstellung und Beschäftigung wirklich gelingt. Der Inklusionspreis will dieses Wissen vermitteln, indem er gelungene Beispiele in der Beschäftigung von Menschen mit Handicap hervorhebt“, so Guttzeit.

Die Preisträger
In diesem Jahr wurde der Preis unter der Schirmherrschaft von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am 3. September in einer Online-Veranstaltung vergeben. Eine unabhängige Experten-Jury aus Wirtschaft, Politik und Behindertenorganisationen bewertete zuvor die Bewerbungen und entschied über die Preisträger. Zwei der vier mit dem Inklusionspreis der Wirtschaft 2020 ausgezeichneten Unternehmen sind Zahntechnik Leipzig und Matthias Hartmann Orthopädie + Sport.

Zahntechnik Leipzig überzeugte durch die Beschäftigung einer gehörlosen Zahntechnikermeisterin, durch deren gute Arbeit die Reklamationsquote von acht auf zwei Prozent gesunken und auch die Effektivität innerhalb des Betriebes gestiegen ist. „Also wir schaffen mehr mit weniger Personal“, berichtet Susanne Goepel, kaufmännische Leitung, erfreut. Geschäftsführer Henry Goepel lobt den Ehrgeiz der Angestellten, auch im Kundenkontakt und bei der Betreuung von Auszubildenden.
Alle technischen Geräte verfügen über visuelle Signale, so dass die Beschäftigte sie problemlos anwenden kann. Die Kommunikation erfolgt aber größtenteils durch Lippenlesen und Mimik. „Herausforderungen hatten wir im ersten Step im Bereich der Kommunikation. Da ist es wichtig, dass man sich anguckt beim Reden, dass man langsam spricht“, erzählt Susanne Goepel „Das gelingt dank der Sensibilität und Geduld von allen richtig gut“, ergänzt Henry Goepel. Eine weitere Mitarbeiterin mit Behinderung ist seit September 2019 im Dentallabor tätig. Aufgrund einer Rückenschädigung kann sie nicht lange sitzen oder stehen. Durch abwechselnde Tätigkeiten in der Arbeitsvorbereitung, der Auftragsannahme, im Rechnungswesen sowie bei Kurierfahrten kann sie ausreichend Bewegung in ihren Arbeitsalltag einbauen. „Inklusion ist für uns Selbstverständlichkeit und Segen zugleich. Wir sind begeistert, wie sich alles entwickelt hat, und werden diesen Weg auf jeden Fall weitergehen“, ist Henry Goepel entschlossen. Dafür ist er bereit, seinen Mitarbeitenden mit hoher Flexibilität und Anpassungsbereitschaft zu begegnen.

Arbeitsbedingungen anpassen
Für Matthias Hartmann von Hartmann Orthopädie + Sport im hessischen Dillenburg gehören Menschen mit und ohne Behinderungen zum Berufsalltag. Der Orthopädie-Schuhmachermeister weiß, wie wichtig das passende Schuhwerk und kompetente Fachkräfte sind. 2018 stellte er Ismail H. ein. „Wir sehen in Menschen vor allem ihr Potenzial, unabhängig von einer Behinderung. So war es auch bei ihm, denn Ismail H. hat in seiner Heimat Syrien beruflich etwas Ähnliches gemacht“, so Hartmann. Ismail H. ist 2015 nach Deutschland gekommen. Er hat eine starke Gehbehinderung, trägt eine Orthese und ist Analphabet. Mit guten handwerklichen Leistungen überzeugte er aber schon im Praktikum. Heute repariert er Schuhe und bearbeitet Kappen und Einlagen an einer speziell umgebauten Maschine, an der er sitzend arbeiten kann. Seine aufgeschlossene Art und sein hohes Engagement sorgen für ein gutes Betriebsklima und mehr Offenheit. „Er passt gut zu unserer Klientel und setzt ein tolles Zeichen: Trotz Einschränkungen entwickelt er sich zur qualifizierten Fachkraft“, freut sich Hartmann.

Die Arbeitsbedingungen anzupassen ist sein Weg zu mehr Inklusion. „Wir hatten schon einige Umstellungsnotwendigkeiten bei uns im Unternehmen, aber die waren klein gegenüber der Leistung, die Ismail auch erbringen kann. Wir haben hier eine spezielle, behindertengerechte Maschine angeschafft. Das größte Problem ist wirklich nicht die körperliche Behinderung von Ismail H. gewesen, sondern die Tatsache, dass er nicht lesen und schreiben kann. Wir mussten die Abläufe ändern.“ Neben Ismail arbeitet auch eine hörgeschädigte Orthopädieschuhmacherin im Betrieb. Die Hörschädigung schränkt die Mitarbeiterin zwar ein, aber durch einen Arbeitsplatz mit für sie passenden Tätigkeiten und Arbeitsbereichen - feste Aufgaben, bei denen sie nicht gestört wird, und eine eigene Maschine in einem ruhigeren Werkstattbereich - kann sie weiterhin ihrem Beruf nachgehen. „Bei uns bekommt jeder die Chance, sich zu beweisen - egal ob mit Behinderung oder ohne“, erklärt Hartmann.

Jeder hat eine Chance verdient
Prämiert mit dem Inklusionspreis für die Wirtschaft 2020 wurden auch das Unternehmen Shuyao Teekultur in Düsseldorf und die Porzellanfabrik Hermsdorf. Fast die Hälfte der Mitarbeitenden von Shuyao hat eine Behinderung. Die meisten von ihnen sind hörbehindert, aber auch Menschen mit Lese-/Schreib- und Rechenschwäche sind dabei. Überzeugt wurde das Unternehmen 2011 von einer Bewerberin mit Behinderung, die schrieb: „Mit mir bekommen Sie eine Mitarbeiterin, die nicht so viel redet und abgelenkt wird.“ Seitdem sind stetig weitere Beschäftigte mit Behinderungen eingestellt worden, die Erfahrungen sind durchweg positiv. „Man muss sich nur trauen und das Thema angehen“, ist Shuyao-Gründerin und -Geschäftsführerin Nicola Baumgartner überzeugt. Die Verständigung gelingt mit Lippenlesen, einzelnen Gebärden sowie deutlicher Mimik und Gestik. Sätze einfach und klar zu formulieren, hat die Kommunikation im gesamten Betrieb verbessert.

Barrierefreiheit im Gebäude, Hebehilfen und angepasste Arbeitszeiten sind die Voraussetzungen in der Porzellanfabrik Hermsdorf, um in fast allen Unternehmensbereichen Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Dank einer speziellen Hardware inklusive Kameratechnik, besonderer Software und Lehrbüchern in elektronischer Form kann hier auch ein schwer sehgeschädigter Jugendlicher eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolvieren. „Unternehmen brauchen fähige Mitarbeitende, Menschen mit Behinderungen brauchen eine Chance. Bei entsprechender Eignung ist jeder eine vollwertige Fachkraft - ob mit oder ohne Behinderung“, steht für die Geschäftsführerin Sybille Kaiser fest.

Auch wenn die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in vielen Unternehmen noch nicht selbstverständlich ist - diese vier Betriebe zeigen, was alles möglich ist und dass Inklusion erfolgreich gelingen kann.



Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 24.09.2020
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