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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 11.11.2010:

Eine Schule für alle

Jacob Muth-Preis für inklusive Schulen vergeben
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Bildrechte: Jacob Muth-Preis für inklusive Schule

Auch in Deutschland kann das Konzept der inklusiven Schule gelingen: Dies zeigen die Mut machenden Beispiele der vielen Schulen, die sich für den „Jakob Muth-Preis für inklusive Schule“ beworben haben. Mit diesem Preis wurden in diesem Jahr zum zweiten Mal Schulen ausgezeichnet, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder vorbildlich gemeinsam lernen.


Die Heinrich-Zille-Grundschule in Berlin-Kreuzberg setzt sich seit 20 Jahren erfolgreich für inklusive Bildung ein. Täglich werden fast 400 Kinder mit und ohne Förderbedarf unterrichtet. Das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen und Behinderungen, aber auch von Kindern mit unterschiedlichen Herkunftssprachen, von armen und nichtarmen Kindern, von Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Elternhäusern und auch das Lernen in altersgemischten Lerngruppen werden an der Heinrich-Zille-Grundschule bewusst genutzt, um den Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden. In fast jeder der 15 Schulklassen lernen und arbeiten bis zu vier Kinder mit einem so genannten „Sonderpädagogischen Förderbedarf“, einer Behinderung, einer Lernschwäche oder einer besonderen Problematik in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung gemeinsam mit ihren Mitschülern. Nach dem Prinzip „So viel Gemeinsamkeit wie möglich und so viel individuelle Förderung wie nötig“, erhalten alle Kinder über den gemeinsamen Unterricht hinaus ihrem Lernbedarf entsprechend eine differenzierte Förderung. Besonders geeignet erscheinen der Schule dafür die „Lernstraßen“ im jahrgangsübergreifenden Unterricht, das Arbeiten mit Wochenplänen und die projektorientierte Arbeitsweise in den Klassen 5 und 6. Wo es aufgrund besonderer Lernbedürfnisse sinnvoll scheint, wird auch klassenübergreifend in besonderen Lerngruppen gearbeitet.

Alle Kinder sollen gemeinsam unterrichtet werden
Die Heinrich-Zille-Grundschule in Berlin- Kreuzberg ist ein herausragendes Beispiel dafür, dass das gemeinsame Unterrichten aller Kinder gelingen kann. Gut 40 Prozent der Kinder erhalten jedes Jahr eine Gymnasialempfehlung. Für ihr vorbildliches Vorgehen bekam sie in diesem Jahr den Jacob Muth-Preis verliehen. In Deutschland gilt es immer noch als „normal“, Kinder mit Behinderungen oder Lernschwierigkeiten in so genannten Sonderschulen oder Förderschulen zu unterrichten. Einzelnen Schulen fällt es deshalb oft schwer, sich dem Leitbild einer inklusiven Schule anzunähern. Die seit Anfang 2009 verbindliche UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen fordert aber auch für Deutschland, schulische Bildung möglichst inklusiv zu gestalten, also alle Kinder gemeinsam zu unterrichten. In den meisten europäischen Ländern, wie beispielsweise in Italien, Norwegen und Schweden besuchen etwa 95 Prozent aller beeinträchtigten Schüler allgemeine Schulen. In Deutschland gehen stattdessen etwa 85 Prozent der Kinder mit Behinderungen oder Lernschwierigkeiten – unter ihnen ein sehr hoher Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund – auf Sonderschulen. Viele schaffen hier aber keinen qualifizierenden Abschluss, finden deshalb nur äußerst schwierig eine Lehrstelle und gelangen schon früh ins gesellschaftliche Aus.

Als wesentliche Ursachen für das Beharrungsvermögen des deutschen Förderschulsystems gegenüber inklusiver Bildung für alle Kinder werden die überkommene Gesetzgebung und das komplizierte Finanzierungssystem mit den verschiedenen Verantwortlichkeiten auf Kreis-, Landes- und Bundesebene angesehen. Erschwert wird die inklusive Bildung in Deutschland unter anderem auch durch das dreigliedriges Regelschulsystem mit früher Selektion, starre curriculare Vorgaben und eine Lehrerbildung, die nach wie vor auf die Tätigkeit an einer Regel- oder an einer Sonderschule ausgerichtet ist.

Der Jacob Muth-Preis
Seit 2009 zeichnet die Bertelsmann Stiftung deshalb unter dem Motto „Gemeinsam lernen - mit und ohne Behinderung“ Schulen für ihr beispielhaftes Vorgehen mit dem Jacob Muth-Preis aus. Mit dem Preis werden positive Beispiele, die eine bessere Teilhabe unabhängig von Herkunft, Beeinträchtigung oder sonstiger Benachteiligung ermöglichen, bekannt gemacht. Sie dienen anderen Schulen als Vorbild und sollen zur Nachahmung anregen. Langfristiges Ziel ist natürlich, dass jede Schule die Verschiedenheit aller Kinder respektiert und eine besondere Förderung in der Gemeinsamkeit praktiziert, so dass jede „normale“ Schule eine fördernde Schule für alle Kinder wird. Projektträger sind der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, die Bertelsmann Stiftung und die Deutsche UNESCO-Kommission. Bewerben kann sich jede Schule, die den Weg zur inklusiven Schule beschreitet – unabhängig von Schulform oder Trägerschaft. Die drei ersten Preise sind mit je 3.000 Euro dotiert.

Kriterien der Auswahl sind unter anderem, ob es an der Schule ein systematisches, unterrichtsbezogenes Konzept zur Fortbildung der Lehrkräfte (z.B. für den qualifizierten Umgang mit Behinderungen oder den Unterricht in heterogenen Lerngruppen) gibt, ob die Schule die Leistungsorientierung aller Schüler im Blick auf ihr individuelles Leistungspotenzial fördert und ob individuelle Förderpläne für alle Kinder existieren.

Die Preisträger
Der Preis ist benannt nach einem Vorkämpfer und Wegbereiter des gemeinsamen Lernens von behinderten und nicht behinderten Kindern, dem Pädagogen Jakob Muth (1927 bis 1993). Insgesamt bewarben sich in diesem Jahr 113 Schulen aller Schulformen aus ganz Deutschland für den Jakob Muth-Preis. Die Preisverleihung fand am 28. Oktober 2010 in der Berliner Bertelsmann Repräsentanz statt. Neben der Heinrich-Zille-Grundschule in Berlin-Kreuzberg sind die Montessori-Gesamtschule in Borken (NRW) und die Waldschule in Flensburg mit einem Preis ausgezeichnet worden.

Die Montessori-Gesamtschule in privater Trägerschaft des Vereins Montessori Borken e.V. wird von 167 Kindern und Jugendlichen besucht. Die Schule arbeitet seit ihrer Gründung 1989 inklusiv. Die 20 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind auf alle Klassen verteilt. Im Unterricht haben sich die individuelle Förderung und das selbstständige Lernen etabliert. In der Wochenplanarbeit kann jeder Schüler sein Lerntempo selbst bestimmen. Alle lernen zwar am gleichen Gegenstand, aber nicht alle können und müssen das Gleiche in derselben Zeit lernen. Jeder ist gefragt, Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen und die eigene Arbeit zu organisieren. In heterogenen Lerngruppen erhalten die Schülerinnen und Schüler außerdem die Möglichkeit, ihre sozialen Kompetenzen auszubauen. Mehrfach ist die Schule bei den Leistungserhebungen in Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden; sie gehörte zu den besten zwei Prozent vergleichbarer Gesamtschulen.

Die Waldschule Flensburg hat sich innerhalb von fünf Jahren zu einer inklusiven Schule entwickelt. 250 Schülerinnen und Schüler, darunter 20 mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden hier unterrichtet. Die Schule erhielt aufgrund ihrer herausragenden Arbeit den Titel „Zukunftsschule Schleswig-Holstein“ in der Kategorie „Wir setzen Impulse.“ Sie erzielte in den Vergleichsarbeiten des Landes bemerkenswerte Ergebnisse. Fast die Hälfte der Kinder wechselte nach der vierten Klasse im Schuljahr 2009/2010 auf das Gymnasium. Der Anteil der Schüler mit Lernschwierigkeiten und emotional-sozialem Förderbedarf ist in den letzten Jahren durch die Umgestaltung des Unterrichts stark gesunken. Es wird als normal angesehen, dass Kinder verschieden sind und unterschiedliche Entwicklungsstadien durchlaufen. Die Schule beteiligt sich an innovativen Projekten zur Unterrichtsentwicklung wie z.B. dem „Sinus“-Projekt zur Weiterentwicklung des Mathematik- und Heimat- und Sachkunde-Unterrichtes. An der Waldschule werden die Kinder individuell nach ihrem Können, ihren Interessen, Neigungen und Begabungen gefordert und gefördert. Ein wesentliches Ziel ist es dabei, sie über das reine Sach- und Fachwissen hinaus zu selbstverantwortlichem, durchdachtem und nachhaltigem Lernen zu führen.


Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 11.11.2010
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